Muss der überlebende Ehegatte das Familienwohnheim verkaufen?
Am 01.01.2010 ist es soweit: das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts tritt in Kraft. Viele Änderungen betreffen den Pflichtteil, wir hatten hierüber schon berichtet. Lesen Sie heute über weitere bedeutende Änderungen des Pflichtteilsrechts. Unter welchen Voraussetzungen kann der Erblasser den Pflichtteil entziehen? Muss der überlebende Ehegatte das Familienwohnheim verkaufen, um den Pflichtteilsanspruch eines Kindes erfüllen zu können?
1. Wie kann der Pflichtteil entzogen werden?
Ehegatten, Eltern und Kindern (unter Umständen auch Enkelkindern!) des Erblassers steht von Gesetzes wegen eine Mindestbeteiligung am Nachlass zu. Wurden sie durch ein Testament von der Erbfolge ausgeschlossen, können sie ihren Pflichtteil vom Erben verlangen. Oftmals stellt sich den Testierenden die Frage, ob und wie diesen Personen der Pflichtteil entzogen werden kann. Insbesondere dort, wo das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern stark zerrüttet ist, entsteht das Bedürfnis, das Kind oder die Eltern an einer Teilhabe am Nachlass gänzlich auszuschließen. Ganz so einfach ist das jedoch nicht. Auch nach der Erbrechtsreform müssen triftige Gründe für einen Pflichtteilsentzug vorliegen. So kommt nach wie vor eine Pflichtteilsentziehung bspw. dann in Betracht, wenn der Berechtigte dem Erblasser, dessen Ehegatten oder anderen Abkömmlingen nach dem Leben trachtet.
Den Entziehungsgrund des ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels gibt es nach neuem Recht. In Zukunft kann dem Pflichtteilsberechtigten stattdessen der Pflichtteil jedoch entzogen werden wenn:
- er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde und
- seine Teilhabe am Nachlass für den Erblasser unzumutbar ist.
Gleiches gilt, wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht wird.
Vorsicht ist bei der Abfassung eines Testaments geboten. Nach altem Recht musste darin nur der Entziehungsgrund dargelegt werden. Nunmehr ist auch anzugeben, aufgrund welcher konkreten Umstände die Teilhabe des in Ungnade Gefallenen am Nachlass für den Erblasser unzumutbar ist. Erfahrungsgemäß kranken laienhaft abgefasste Testamente, mit welchen einem Berechtigten der Pflichtteil entzogen werden soll bereits an formalen Mängeln. Hier sollte unbedingt ein Profi beim Formulieren der Entziehungsgründe zugezogen werden. Darüber hinaus können in einer erbrechtlichen Beratung Alternativen zum Pflichtteilsentzug aufgezeigt werden.
2. Stundung des Pflichtteilsanspruchs
Der Pflichtteilsanspruch ist ein sogenannter Zahlungsanspruch. Er ist mit dem Erbfall fällig. Das bedeutet, der Erbe muss den Pflichtteil sofort auf Verlangen auszahlen, auch wenn ihm dies zunächst nicht möglich ist. Unter Umständen wird der Erbe Nachlassgegenstände verkaufen müssen, um sich in die Lage zu versetzen, den Pflichtteil zu zahlen.
Bislang sah das Gesetz in besonderen Härtefällen die Möglichkeit der Stundung des Pflichtteils vor. War der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt, konnte er beim Nachlassgericht einen Antrag auf Stundung des Pflichtteils stellen. Die Stundung wurde insbesondere dann gewährt, wenn der Erbe zur Aufgabe seiner Familienwohnung gezwungen war. Die Reform weicht den Anwendungsbereich auf und gewährt nun jedem Erben, nicht nur dem pflichtteilsberechtigten, die Möglichkeit der Stundung. Wird dem Stundungsantrag vom Nachlassgericht entsprochen, ist der Pflichtteilsanspruch nicht sofort, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt zu zahlen. Die Pflicht zur Zahlung entfällt dadurch nicht. Der Pflichtteilsberechtigte kann Zinsen für den aufgeschobenen Zeitraum verlangen.
Wie man sieht, ist die Stundung nur ein schwaches Mittel, um die den Erben durch die Zahlungsverpflichtung treffende Härte abzumildern. Wichtig ist es, bereits im Vorfeld tätig zu werden. So kann durch klug gestaltete Testamente oder lebzeitige Übergabeverträge ein bestmöglicher Schutz für den Erben erreicht werden. Aber auch hier ist professioneller Rat unerlässlich.
Wir beraten Sie diesbezüglich gerne.